Ursula Strauss im Interview
Publikumsliebling Ursula Strausss spielt „die eingebildete Kranke“. in der Inszenierung von Leander Haußmann.Hypochondrie wird üblicherweise den Männern zugeschrieben. In unserer Inszenierung spielst du die Titelrolle. Verstärkt die Setzung einer weiblichen Kranken den Konflikt?
Sicher sagt man, dass die Männer mehr zum Leiden tendieren, das ist der berühmte Männerschnupfen. Aber die Angst vor der eigenen Endlichkeit ist geschlechtsneutral und betrifft Männer genauso wie Frauen. Spannend an dieser Figur der eingebildeten Kranken finde ich, dass sie sich vor dem Leben drückt. Sie gibt die Verantwortung an alle um sie herum ab und versteckt sich hinter Krankheiten. Auch heute noch liegt die meiste Care-Arbeit auf den Schultern der Frauen. Alles, was mit sozialer Verantwortung zu tun hat, wird sehr leicht und schnell an Frauen abgegeben. Mich interessiert diese Umdrehung, dass eine Frau alle Verantwortung abgibt und sogar die Tochter für ihre Zwecke benutzt, als Gedankenexperiment. Ich sehe die elementarste Veränderung in der Mutter-Tochter-Beziehung. Denn die Annahme, ich habe dir das Leben geschenkt und deshalb bist du mir etwas schuldig, verstärkt den Konflikt auf jeden Fall durch eine weibliche Kranke.
Macht Frau Argan im Laufe des Stück eine Entwicklung durch?
Es gibt ein österreichisches Sprichwort: «Z’Tod g’fiacht is a g’storbn». Durch die Angst vor dem Leben und dieser ständigen Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit wird sie natürlich auch immer einsamer. Die Menschen wenden sich von ihr ab. Im Grunde ist sie auch eine traumatisierte Frau, die in unserer Geschichte, durch die Rahmenhandlung der Theaterwandertruppe den Mann verloren hat, daher spielt sie ja auch die Hauptrolle. Am Ende des Stücks ist sie dann so schwach und so enttäuscht und so auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden, dass eigentlich ein neues Leben beginnen kann. Es ist in eine gewissen Art eine Erlösung für die Figur.
Was sind für dich zentrale Unterschiede, wenn du eine Komödie spielst im Gegensatz zur Tragödie?
Tragödien zu spielen ist in gewisser Hinsicht leichter, weil das Gefühl, das uns alle eint, ist jenes des Schmerzes. Wir kennen alle Liebeskummer, wir kennen alle einen geliebten Menschen zu verlieren, wir kennen alle körperlichen Schmerz, das Gefühl der Einsamkeit, der Trauer, der Angst. Da trifft man relativ schnell auf einen gemeinsamen Nenner. Schwieriger wird es beim Humor, weil Menschen einfach über verschiedene Dinge lachen und je nachdem, welchen Menschen du triffst, musst du dich auf dessen Humor einstellen. Als Schauspielerin muss man einen Ton finden, der wahrhaftig ist, aber nicht peinlich und gleichzeitig viele Menschen in ihrem Gefühl von Humor trifft. Bei der Tragödie geht es viel mehr um pure Wahrhaftigkeit und nicht um diese zusätzliche Überhöhung. Bei einer Komödie darf über das Scheitern anderer gelacht werden. Wir machen uns gewissermassen für das Publikum «zum Affen» und geben alles; fallen hin, schwitzen und bluten etc. Wir spielen für euch, ihr dürft über uns lachen, nach zwei Stunden sind wir aber wieder die, die wir sind und es ist keiner wirklich gestorben und das Bein ist auch nicht gebrochen. Das ist die Verabredung und das erzeugt die kathartische Wirkung von Theater.
Was ist für dich die Essenz von Humor?
Das ist immer die Not. Eine Figur muss ein Problem haben. Am besten ein Problem, das jede und jeder kennt. Wir geniessen es, wenn wir uns zurückzulehnen können und anderen beim Scheitern oder im Kampf zuzuschauen können. Und noch besser wird es, wenn wir drüber lachen können. Also wenn wir merken, dass die Figur in einer total wahrhaftigen Not ist. Natürlich kommt es dann auch noch auf Schnelligkeit und Rhythmus an, sowie den Text.
Wo fühlst du dich mehr zu Hause: auf der Bühne oder vor der Kamera?
Das kann ich nicht sagen. Da gibt es für mich keinen Unterschied. Ich liebe das alles, ich liebe die Vielfalt in meinem Beruf, dass ich so viele unterschiedliche Sachen machen darf. Ich fange immer bei Null an. Ich habe nie das Gefühl, irgendwas zu können. Ich weiss auch am Beginn eines Probenprozesses nie, wie eine bestimmte Figur gespielt werden muss. Im Gegenteil ich denke immer, dass ich hinterher hinke. Bei jeder Produktion fange ich von vorne an, als ob ich das noch nie gemacht habe, sei das auf dem Set oder im Theater. Das liebe ich, weil es mir dadurch nicht langweilig wird. Ich habe das Glück, dass es für mich noch immer nicht selbstverständlich geworden ist, sondern dass es immer wieder ein neues Wagnis ist und ein neues Abenteuer. Und darum kann ich auch nicht unterscheiden.