Julia Kreusch und Julian Tzschentke im Gespräch
„Die Möwe“ von Anton Tschechow ist eines der großen Schauspieler*innenstücke der Theatergeschichte. Wir haben Julia Kreusch und Julian Tzschentke vorab ein paar Fragen zu Tschechows Figuren, weiblichen Hauptrollen und neuen Theaterformen gestellt.Kostja sucht als Vertreter der jungen Generation nach neuen Theaterformen. Frage an dich Julian Tzschenke: Was muss für dich Theater können?
JT: Theater ist dann kraftvoll für mich, wenn eine Inszenierung es schafft, mich als Zuschauer in den Moment, in das Ereignis, das gerade stattfindet, hineinzuziehen. Wenn eine Konzentration entsteht, der man sich nicht entziehen kann, und wir alle gemeinsam eine Erfahrung teilen können. An welchen Orten geschieht das sonst? Besonders in Zeiten, in denen unsere Aufmerksamkeitsspanne immer stärker zu verkümmern droht, finde ich einen solchen konzentrierten Raum sehr wichtig.
Wieviel von der Figur Arkadina steckt in dir Julia Kreusch?
JK: Die Parallelen liegen auf der Hand: Sie ist Schauspielerin und hat einen Sohn, genau wie ich. Trotzdem aber denke ich, dass sie von meiner Persönlichkeit ziemlich weit weg ist. Oder vielleicht möchte ich die Ähnlichkeiten auch einfach nicht wahrhaben (lacht). Das heißt aber nicht, dass ich sie nicht verstehen kann. Ich kann ihre Ängste und die Vorwürfe, die sie sich macht, sogar sehr gut nachvollziehen. Womit ich mich jedoch überhaupt nicht identifizieren kann, ist diese Eifersucht auf die junge Schauspielerin Nina oder ihre Angst vor dem Alter. Darauf möchte ich sie auch nicht reduzieren. Das sind viel zu kleine Konflikte.
Und wie näherst du dich an die Rolle an?
JK: Ganz grundsätzlich muss ich sagen, dass ich eine sehr intuitive Person bin. Ich gehe niemals intellektuell an die Sache heran und lese tausend Bücher über ein bestimmtes Stück, sondern verlasse mich vollkommen auf meinen Bauch. Ich gehe über die Emotionen und lasse mich auch von Äußerlichkeiten, wie beispielsweise dem Kostüm inspirieren. Bei Arkadina interessiert mich nicht nur die tragischen Aspekte, sondern auch die Komik der Figur. Ich finde, dass sie eine große Portion Bauernschläue und Mutterwitz mitbringt. Als alleinerziehende, berufstätige Mutter verfügt sie über viel Lebenserfahrung und hat die Fähigkeit zur Selbstironie. Das finde ich spannend und triggert mich.
Was interessiert dich Julian am meisten an der Rolle dieses aufstrebenden, jungen Theaterautors?
JT: An Kostja interessiert mich auf der einen Seite dieses jugendliche Selbstbewusstsein, das es braucht, um überhaupt den Mut zu haben, etwas zu schreiben und zu veröffentlichen. Mich beeindruckt seine Behauptung, dass er nun etwas völlig Neuartiges geschaffen hat, etwas, das die Welt noch nicht gesehen hat. Es braucht Mut, die etablierte Literatur und das Theater auf so eine dreiste Weise anzugreifen. Dieser Idealismus, diese Energie, diese Anmaßung, das interessiert mich an dieser Figur. Gleichzeitig ist dieses Selbstbewusstsein dann aber auch sehr fragil und zutiefst abhängig von der Meinung und Bestätigung Anderer. Dieses Spannungsverhältnis interessiert mich.
In den Klassikern der Weltliteratur sind die weiblichen Hauptrollen eher spärlich gesät. Gibt es eine männliche Hauptrolle, die du Julia gerne spielen möchtest?
JK: Die Liste ist endlos … angefangen bei diesen vermeintlichen Bösewichten; beispielsweise bei Brecht der Fleischfabrikant Mauler oder der Dichter Baal sind Traumrollen, bis hin zu den getriebenen und leidenden Männerfiguren wie Lenz oder Woyzeck von Büchner oder auch alle Molière Typen. Sie alle dürfen sich so schön in ihrem Leid baden oder an der Liebe verzweifeln. Ihr Leid ist meistens selbstverschuldet und hat einen egoistischen Ursprung. Den weiblichen Figuren hingegen wird das Leid oft von außen zugefügt. Sie sind meistens wirkliche Opfer, denn es geht bei ihnen tatsächlich um Tod und Verderben. Die Männer hingegen dürfen auf eine viel reizvollere Art und Weise leiden. Sie dürfen zerfließen im Selbstmitleid, im Wollen, im Getriebensein.
Was ist für dich Julian das Spezielle an den Figuren von Tschechow?
JT: Sie sind voller Hoffnung, aber auch voller Ängste und Zwänge. Diese Wiedersprüche halten sie davon ab, ihre Träume zu leben. Sie begehen viele Fehler, alle aber sind auf ihre ganz eigene Art liebenswürdig. Dieser Komplexität als Schauspieler gerecht zu werden, empfinde ich als schöne Aufgabe und tolle Herausforderung.
DIE MÖWE feiert am 28. November 2025 im Landestheater NÖ Premiere.
Mit Tobias Artner, Caroline Baas, Jens Claßen, Nikolai Gemel, Bettina Kerl, Julia Kreusch, Laura Laufenberg, Michael Scherff, Julian Tzschentke, Lukas Walcher
Inszenierung Max Lindemann Bühne Katja Pech Kostüme Cedric Mpaka Dramaturgie Sabrina Hofer