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Eva Menasse im Interview

Eisernes Schweigen: die Schriftstellerin über das innere Gewebe des Ortes Rechnitz, über Täter als Landschaftsgärtner und die Arbeit am Roman „Dunkelblum“

Wann waren Sie das erste Mal in Rechnitz und welchen Eindruck hat der Besuch hinterlassen?

Ich war vor Jahren mal dort, einfach so, durchgefahren. Für die Recherche bin ich extra nicht hingefahren, um mir meine eigene innere Landschaft zu ermöglichen. Ich kenne das Burgenland aber aus den Neunzigern ganz gut, da habe ich von dort einige Reportagen geschrieben.

Die Grenze ist in verschiedener Hinsicht ein Thema. Was macht es mit Menschen, wenn sie an der Grenze wohnen? 

Der Eiserne Vorhang damals beschränkte uns in Ostösterreich doch alle massiv in unserer Bewegung, auch der geistigen. Man konnte und dachte immer nur in die eine Richtung, nämlich tiefer ins eigene Land hinein. Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal bei meinem Bruder im Waldviertel einfach mit dem Auto rüberfuhr, nach Tschechien, wahrscheinlich 1990. Ich war so erstaunt, dass alles genauso aussah wie auf der Waldviertler Seite, landschaftlich jedenfalls, ganz genauso. Die Dörfer waren ärmlicher. Und ich fragte mich, was ich erwartet hatte. Die ehrliche Antwort war: Dunkelheit. Als gäbe es da drüben gar kein Land, nur kalte kommunistische Finsternis. Stattdessen: Wald und Granit und Karpfenteiche.

Wann hat sich das Interesse, die Geschichte von Rechnitz – das Verbrechen und vor allem das gemeinsame Schweigen darüber – in einem Roman zu bearbeiten, konkretisiert? Gab es einen Auslöser?

Der Auslöser war die Erkenntnis, dass ich nichts Eigentliches darüber wusste, außer, dass ein Massaker stattgefunden hat, bei dem bis heute die Leichen fehlen. Aber weder die Geschichte des Südostwalls noch die Tatsache, dass es in der ganzen Gegend so viele gleichartige Verbrechen gegeben hat, waren mir bekannt. Und dann der Titel von Martin Pollacks großartigem Essay: „Kontaminierte Landschaften“. Da dachte ich, ja, das möchte beschreiben.

„Dunkelblum“ ist ein Roman über Rechnitz, aber die Geschichte ist auch beispielhaft für andere Orte in der Nähe des Südostwalls, an denen Endphaseverbrechen stattgefunden haben. Unterscheidet sich Rechnitz nur dadurch, dass die Gräber nicht gefunden wurden, oder ist die Dimension des Verbrechens auch eine andere? 

In Rechnitz sind vermutlich sehr viel mehr Menschen umgebracht worden, die Dimension ist schon deutlich größer. In der Zeitgeschichtsforschung gibt es inzwischen Vermutungen, dass es vielleicht zwei Massaker waren, in aufeinanderfolgenden Nächten, weil sich die Indizien und Zeugenaussagen so widersprechen. Das würde die Opferzahlen noch mal verdoppeln, auf an die vierhundert. Und das ganze innere Gewebe des Ortes war anders, härter, gewalttätiger, ängstlicher, die Bevölkerung war terrorisiert, auch durch die unaufgeklärten Morde in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Wie im Roman wurden in Rechnitz in den Jahren nach Kriegsende einige Morde verübt, an potenziellen Zeugen und zur Einschüchterung der anderen.

Am wichtigsten war wohl: Die Autoritäten, also vor allem die Grafen, waren eindeutig auf Seiten der Nazis und der SS. Das war entscheidend. In anderen Orten war das nicht so klar, da hat sich die Bevölkerung auch anders verhalten, es wurden zum Beispiel mehr Zwangsarbeiter versteckt. In Deutsch-Schützen wurde das Massaker mittendrin abgebrochen, niemand weiß warum. Aber allein, dass das möglich war ... Rechnitz ist leider schon besonders, auf maximal schreckliche Art. Die Kombi-nation aus fanatischen Nazis im Ort, Gewalttaten in der Nachkriegszeit und einer Kontinuität der Eliten hat zu diesem Phänomen geführt, dass ein Massengrab einfach für immer verschwinden kann.

Stilistisch liest sich „Dunkelblum“ fast wie ein Krimi. Die implizite Suche nach Ort und Tätern wird dadurch zugespitzt, dass Sie Spuren einflechten, die andere Orte von Massenverbrechen beschreiben. Gibt es eine Typologie dieser Orte des Verbrechens und gleichen sie einander alle mehr oder weniger?

Es gibt eine Typologie und jeder Ort ist anders, einfach wegen der beteiligten Menschen. Aber Massaker gehen sehr schnell, das muss man sich klarmachen, und die Spuren werden immer blitzartig beseitigt. Selbst wenn ein paar Menschen stundenlang schießen und stundenlang schaufeln müssen – es ist ein schnelles Ereignis. Als Außenstehender muss man es nicht unbedingt mitkriegen. Und gleichzeitig ist der Gewaltausbruch so massiv, diese Leichen in einer Reihe sind so schrecklich, dass alle, die damit in Verbindung stehen, erst einmal eisern schweigen. Ich glaube, das gilt generell.

Welche Strategien, um Spuren zu verwischen und Erinnerungen auszulöschen, sind beispielhaft für Verbrechen dieser Art? 

Von Martin Pollack habe ich gelernt: Bepflanzung. Seine Formulierung, dass solche Täter dann noch Landschaftsgärtner werden, indem sie dafür sorgen, dass schnellwachsende Pflanzen gesetzt wer-den, diese Formulierung hat mich hart getroffen und sehr beeindruckt. Ich habe sie im Roman „geklaut“, natürlich abgesprochen mit Pollack.

Die Hitlerjungen von Rechnitz/Dunkelblum wurden verurteilt. Warum nicht auch andere, mächtigere Täter? 

Weil man sie nicht erwischt hat, ganz einfach. Die SS-Leute sind geflüchtet, die Ortsjugend, die zu Hilfsdiensten eingeteilt wurde – wo hätte die hinsollen? Dazu kommt es immer wieder: Dass die am wenigsten Schuldigen als Einzige bestraft werden, weil es sich die anderen richten können.

Viele Personennamen in „Dunkelblum“ sind Ortsnamen von Massenverbrechen (wie das Gefangenenlager Mallnitz in Norwegen, der Ort Tüffer in der einstigen Untersteiermark im heutigen Slowenien etc.). Dunkelblum war wiederum der Familienname jüdischer Freunde ihrer Eltern. Gibt es eine für den Titel ausschlaggebende Erinnerung, die man sich in Ihrer Familie über die Dunkelblums erzählt hat?

Nein, ich habe einfach die beiden Namenslisten vertauscht, Ortsnamen und jüdische Familiennamen. Wie Dunkelblum tragen auch die anderen umbenannten Ortschaften im Roman jüdische Familiennamen, Löwingen, Kirschenstein, Zwick und Ehrenfeld. Wenn das überhaupt alle sind. Dunkelblum hat mir wegen seiner Aura als Wort immer schon so gut gefallen, ich wollte es eigentlich in „Vienna“ schon verwenden.

Im Roman kommen Spuren von Antisemitismus vor. Z. B. wird Toni Malnitz für seine Unterstützung der Studierenden als „Judenfreund“ angezischt. Wie stark war der Antisemitismus im Österreich der 1980-er Jahre vorhanden? Haben Sie Erinnerungen aus ihrer Jugend daran?
Ehrlich gesagt, kaum. In der Waldheim-Zeit, also 1986, diskutierten wir in der Schule viel über Politik. Einmal fragte ich, und, was würdet ihr mit jemandem wie mir machen? Und ein Klassenkamerad gab die Antwort: Naja, ausweisen würden wir dich nicht. Aber ich habe das nicht ernstgenommen. Eher war ich stolz auf meine aggressive Frage. Die ich heute natürlich kindisch und plakativ finde, aber mein Gott, unter Sechzehnjährigen.

Der Roman wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Vieles geschieht gleichzeitig. Wie ordnen Sie Ihre Komposition?
Ich schreibe intuitiv. Ich schaue, was worauf am besten passt, wie es fließt, ich kann das nicht genau erklären, ich schaue immer wieder zurück, lese vom Anfang, ob es passt, klingt, funktioniert, gut umschneidet. Die Geschichten, die ich schreiben will, die Figuren, habe ich natürlich zu einem gewissen Teil vorher im Kopf, und dort haben sie verschiedene Melodien oder Farben oder Gerüche. Die müssen in einer bestimmten Reihenfolge abgewechselt werden. Viele Anschlüsse entstehen erst beim Schreiben, wenn ich sehe, ah, da würde jetzt etwas Bestimmtes gut dran-passen. Aber natürlich gab es eine bestimmte Ordnung der Zeitebenen. Erster Teil: Mehr Gegenwartshandlung. Zweiter Teil: Viel Vergangenheit. Dritter Teil: Gegenwartshandlung schreitet auf Basis der Vergangenheitsfakten weiter.

Durch die Verschlüsselung und Umbenennung der Fakten und handelnden Personen weckt der Roman detektivisches Interesse. Wir haben uns gefragt, ob Sie ganz bewusst die Leser*innen dazu animieren wollen, zu recherchieren und „Grabungsarbeiten“ zu unternehmen, wenn auch nur in Informationen. 
Ich selbst bin ein sehr aufmerksamer Leser und auch Zuschauer bei Filmen. Ich hasse es, wenn ich zu ahnen beginne, wie es weitergeht oder schon vorher weiß, wie sich etwas auflöst. Deswegen möchte ich es meinen Lesern auch schwer machen. Sie sollen mitdenken und kombinieren, ja. Dafür gebe ich ihnen aber alle Anhaltspunkte, ich betrüge sie nicht. Für mich ist das Mitdenken die entscheidende Freude am Lesen. Wer darauf keine Lust hat, findet ja genug Bücher, die es ihm leichter machen. Aber eine gelungene Schnitzeljagd – ah, so muss es sein! – hat eben auch etwas sehr Befriedigendes.

Wie gut lernen Sie Ihre Figuren kennen? Verändert das historische Geheimnis etwas am Schreibprozess, da die Figuren kollektiv ein Geheimnis wahren? 
Ich habe die Figuren in ihren Beziehungen zueinander besser kennengelernt. Das war auch der Spaß an so einem großen Ensemble wie hier. Wenn man erst mal begreift, wer alles miteinander in die Schule gegangen sein muss, zum Teil nur mit ein, zwei Jahren Altersabstand jünger oder älter, dann erkennt man plötzlich, wie gut die sich gekannt haben müssen, in so einer Kleinstadt. Ich dachte: Da muss es Flirts gegeben haben, Abneigungen, ewige Feindschaften oder im Gegenteil so eine absolute Ergebenheit wie von Horka zum Ferbenz. Er kommt am ersten Schultag nicht gegen ihn an, also wird er sein bestes ausführendes Organ, in allem Schrecken, den das in diesem Fall bedeutet hat.

Danke für das Gespräch!

Das Interview führte Julia Engelmayer.

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